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NN-Hauptstadtbüro-Leiter Harald Baumer referierte über seine Berliner Erfahrungen

Wo Helmut Kohl im Café ablästert

Ein Mann, ein Buffet und nicht sehr viele Gäste: Harald Baumer, Leiter des Hauptstadtbüros der Nürnberger Nachrichten, referierte auf Einladung der Karl-Heinz-Hiersemann-Gesellschaft im Kosbacher Stadl zum Thema «Hinter den (politischen) Kulissen von Berlin».

Da hatte doch Meisterkoch Hans Polster die Gelegenheit gleich beim ersten Wurzel-Schopf gepackt: Kaum sprießt der Spargel aus der Erde, landet er direktemang – als Gemüse wie als Salat – auf den Stadl-Tellern. Und erst die Sauce hollandaise – zum Niederknien.

Aber halt, der Reihe nach, denn vor den kulinarischen Genüssen präsentierte sich, bedingt durch das gleichzeitig stattfindende Champions-League-Spiel der Münchner Bayern, vor ausgedünnten Sitzreihen der Mann, der seit 2001 für die NN -Informationen, Hintergrundberichte und Kommentare aus Berlin liefert. Gerichtsreporter war er mal, bevor er in die Hauptstadt ging, aber studiert hat Harald Baumer etwas ganz anderes, nämlich evangelische Theologie. Und dozieren kann er weiß Gott, sehr flamboyant, sehr unterhaltsam. Von wegen Journalisten sind nur Schreiberlinge, sie können – wenn auch viel seltener – gute Redner sein.

Also: Der «naturalisierte Franke» Harald Baumer, geboren in der Oberpfalz, spickt seinen Vortrag mit vielen Infos, vergisst darob aber auch nie die Anekdote. Dass Angela Merkel während einer Kabinettssitzung zirka 20 SMS schreibe, erfährt man ebenso wie die Tatsache, dass der Durchschnitts-Berliner über gerade mal 14 700 Euro im Jahr verfüge, jedes Jahr aber ein neues Fünf-Sterne-Hotel eröffnet werde. «Eine Stadt der Extreme», sagt Harald Baumer. 1,7 Millionen Menschen seien seit 1991 aus Berlin weggezogen, 1,8 Millionen in derselben Zeit hinzugezogen. Der kaum vorhandenen Industrie stehe eine Film- und Fernsehbranche gegenüber, die jährlich über eine Milliarde Euro umsetze. Und die gläserne Reichtagskuppel sei auf der Liste der deutschen Touristenattraktionen bereits auf Platz 2 vorgeschnellt.

So viel also zum Schauplatz des Geschehens. Baumer meint, dass Berlin sehr wohl als Kulisse für Politik tauge, «ganz anders als die brave Beamtenstadt Bonn». Wohin zum «Politikergucken»? Na, ins «Café Einstein» Unter den Linden, da lästerte mal an Baumers Nebentisch Helmut Kohl kräftig über seine «Erben» ab. Der Zustand der großen Koalition? Baumer: «Es ist so gekommen, wie ich es gedacht hatte. Ein ganz bemerkenswertes, ganz sachliches Kabinett der Arbeiter mit vergleichsweise wenig Profilierungssucht», wenn auch eine «kulturelle Fremdheit der Koalitionspartner» noch vorhanden sei. Baumer bedauert die «zwar strukturell bedingte, aber nervtötende Entscheidungsschwäche der Politik mit ihren frustrierenden Minimalkompromissen» und hält den Föderalismus in der gegenwärtigen Form für ein Problem. Vielleicht, so Baumer weiter, wäre auch mal über das Mehrheitswahlrecht für Deutschland nachzudenken. Die Beziehung zwischen Medien und Politik sei von gegenseitiger Wechselwirkung beeinflusst, des Journalisten Waffe sei die Ironie.

Noch Fragen? Noch Fragen. Dann Essen. Die Türen öffnen sich zu Schnitzel, Kartoffeln und eben Spargel, und zu leckeren, mehrfarbigen Dessert-Cremes. Und erst der Rotwein – Wahnsinn. Also gut: Polit-Journalismus kann auch schmackhaft sein. MANFRED KOCH

13.4.2007

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